Frau Arp

Mit Hitler im
Panzermuseum

Wir gehen normalerweise nicht ins Museum. Warum? Weil uns immer Tourette, Autismus, ADHS, FASD und eine gestörte Impulskontrolle begleiten. Das ist unser Sohn. Er hat Superkräfte und bringt uns zum Lachen und Weinen. Fordert uns heraus und zeigt uns, wie seine Welt aussieht.

Er begleitet uns heute ins Panzermuseum, weil wir seit zwanzig Jahren auf dem Weg zu Oma und Opa immer wieder an dem Schild vorbeifahren, das an der Autobahn auf das Museum hinweist. Ihr wisst schon, auf der A7 von Hamburg nach Hannover. Panzermuseum wir kommen.

Am Eingang zahlen wir weniger, denn wir haben diesen Superheldenausweis, der uns den Eintritt vergünstigt. Ich bin gespannt, freue mich auf ein neues Abenteuer und bin aber auch nervös. Zum Glück haben wir Corona und alle tragen Masken, da wird man nicht so gut verstanden.

Erster Panzer und unser Supermann ruft “Heil Hitler, die Nazis kommen!”

Oh Mann, ich wusste, der Tag wird besonders. Da hilft es nicht, zu sagen: “Benimmt dich und reiß dich zusammen.” Das versteht das Superkräfte-Tourette nicht, die gestörte Impulskontrolle schiebt noch ein „Fick dich!“ hinterher.

Unser Sohn ist aufgeregt und wir, wir sind die Herren der Lage, soweit es eben geht. Unsere Nackenhaare sträuben sich und wir schwanken zwischen „Oh, hat uns einer gehört?“ und “Klasse, unser Sohn ist in seinem Element und darf seine Superkräfte auch an diesem Ort nutzen.”

Man darf, wie immer, nichts anfassen und schon gar nicht irgendwo reingehen. Für unseren Helden der Geschichte ein klarer Minuspunkt. Was soll das denn?

“Deutschland!”, schreit das Kind, “Wir kommen!” Ein Panzer nach dem nächsten, wir werden immer schneller. Als Elternteam sind bemüht gelassen. Wir sind froh, dass wir endlich im Urlaub auch mal was ansehen und der Supermann daran Spaß hat. Wir sind aber auch wachsam und müssen das Umfeld im Blick haben.

Denn nicht viele Menschen verstehen unsere Welt. In unserer Welt steht unser Sohn im Mittelpunkt. Er hat diese vielen Superkräfte, er liebt Worte, die andere nicht sagen dürfen, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Er ist laut und schnell und besonders, aber man sieht es ihm nicht an.

Das macht geistige Behinderungen so schwer zu verstehen. Von außen ein Junge in der Pubertät und von innen verhält er sich mal wie sieben Jahre und mal wie achtzehn Jahre, gerne beides auf einmal und ständig wechselnd in jedem Moment.

Ja, mein Kind darf mich in der Öffentlichkeit Fotze nennen. Dann weiß ich, für ihn war das zu viel und er braucht dringend seine gewohnte Umgebung, in der er sich auskennt und sicher fühlt.

Finde ich das gut?

NEIN!

Kann ich es ändern?

NEIN!

Aber ich kann achtsam mit unseren Aktivitäten umgehen und versuchen, immer alles im Blick zu behalten. Das bedeutet, ich schätze ab, was vor der Situation war, was jetzt ist und was gleich passiert.

Kann ich das?

Nein, definitiv nicht.

Ich kann nur mein Bestes versuchen und jeden Moment genießen.

Wird unser Umfeld uns je verstehen?

Ich denke nicht.

Wenn ihr uns seht, dann freut euch, dass wir da sind. Verurteilt nicht und legt euch mit uns auf den Boden im Einkaufszentrum, weil das gerade notwendig ist.

Ja, mein Sohn nimmt Hitler mit ins Panzermuseum und wir brauchen nur 23 Minuten. Wir lesen keine Tafeln oder befassen uns mit irgendetwas länger als eine Minute. Es sei denn, es trifft sein Interesse. Dann gehen wir zum Beispiel zwei Stunden Angeln oder über den Parkfriedhof.

Das sind wir, eine ganz normale Heldenfamilie.

FASD, ADHS, Autismus, Freiheit